Dienstag, 27. Juli 2010

Tag 3 - Moskau - km 0 - Wind of change oder It's never too late for Lenin


von Sabine

Michi und ich besichtigen das Herz Moskaus: den Roten Platz, die St. Basils Cathedral und den Kreml. Der creepy Hoehepunkt des Tages ist aber unbestritten Lenin: Nach seinem Tod beschloss Stalin, ihn nicht gemaess seines letzten Wunsches in Petersburg neben seiner Mutter zu begraben, sondern ihn weiterhin in den Dienst der Sache zu stellen. Nach seinem Tod wurde Lenin deshalb mumifiziert und sein Koerper wird bis heute vor der Mauer des Kremls zur Schau gestellt. Der Eintritt zur Gruft ist gratis: Lenin ist fuer alle.
Also statten auch wir Vladimir Iljitsch Lenin einen Besuch ab: Starre Polizeiwachen weisen vor dem Eingang den Weg hinunter in die Gruft. Alle paar Stufen bewachen Dreiergruppen den toten Mastermind Russlands. Die kuehle Gruft ist rot beleuchtet, Stehenbleiben ist untersagt. Wir umrunden den Glassarg, der Koerper selbst sieht aus wie aus Wachs. Absurd und unheimlich. Mit flauem Magen gehen wir aus Lenins Ruhestaette hinaus in die Hitze des Roten Platzes und holen unsere Kameras, die wir zuvor abgeben mussten, ab. Auf dem Weg zum Alexandrovsky Park kommen wir wieder dort vorbei, wo man sich zuvor zur Beschau Lenins angestellt hatte. Es ist bereits 13.15 Uhr - Lenin stand nur bis 13 Uhr zur Verfuegung. Einer der Waechter meint zu uns: "Ladies, you're too late for Lenin!" Erst spaeter faellt uns die passende Antwort ein: "It's never too late for Lenin."
Am Abend regnet es endlich.

Scorpions, Wind of Change
http://www.youtube.com/watch?v=5KcRl1p2waM

Von Kamikaze-Spatzen und distanzlosen Tauben

von Michi

Es ist heiss. Noch immer. Im Park gibt es zwar Baeume und feuchtes Gras (ja, auch die Russen bewaessern ihre Gruenflaechen), dennoch kann ich mir bei 40 Grad im Schatten schoenere Dinge vorstellen, als Moskau abzuklappern - die Stadt, die unter einer Smog-Glocke steckt, in der die Frauen in High-Heels geboren werden und die Maenner gerne Oligarchen waeren aber meistens halt keine sind...
Genau aus diesem Grund belagern wir wie alle anderen Menschen nach der Besichtigung von Lenin und dem Kreml den Alexandrovsky-Park, essen Eis und trinken literweise Wasser. Russische Kinder, die hoffentlich gegen Diphterie geimpft sind (und Hepatitis by the way) gehen im Brunnen baden, dessen Wasser nicht nur gruen schimmert, sondern gruen ist. Sie tauchen prustend neben Plastiksackerln und Tschick-Stummeln auf und geben meinem verzaertelten Wiener Selbst ein wenig zu denken. Unterm Baum ist es angenehm. Links beim Roten Platz schreien ein Mann und eine Frau in ein Megaphon - gegeneinander und pausenlos. Wenns nicht so heiss waer, faend ichs lustiger... Hinter mir stehen zwei Wachmaenner in der Hitze Spalier, bewachen irgendein Feuer, das vor dem Kreml anscheinend dauernd zu brennen scheint, und tun mir schrecklich leid in ihren Uniformen.
Dass Paarungszeit ist, erkennt man nicht nur an den gurrenden, aufgeplusterten Tauben, die sich gegenseitig umkreisen, sondern auch daran, dass die junge Russin mit den langen Beinen nebenan im 10-Minuten-Takt von einem anderen Typen angebaggert wird - fast so effizient wie die Moskauer U-Bahn... A propos Tauben: das ist uebrigens universell. Die sind nicht nur in Wien grindig und nicht zu verjagen, sondern auch in Moskau. Bloss fliegen sie ein wenig tiefer. Ich nehme an, die Hitze drueckt zu sehr. Tauben koennen im Gegensatz zu den ebenfalls allgegenwaertigen Spatzen in diesem Park aber noch navigieren. Die kleinen braunen Mini-Tiefflieger hingegen schiessen wie Darts-Pfeile durch die Luft und ich habe ernsthaft Angst, dass mich einer rammt und in meinem Koerper stecken bleibt... Volle Kamikaze-Flieger auf russischem Terrain. Und nein, noch bin ich nicht verrueckt...

Tag 1+2 - Moskau - km 0 - Kampf gegen die Hitze

von Sabine

Wer denkt, dass es in Russland kalt ist, hat recht. Meistens. Ausser in den Sommermonaten. In der kontinentalen Klimazone kann es auch zu unertraeglichen Hitzewellen kommen - wie z. B. am 23. und 24. Juli 2010 - unseren ersten beiden Tagen in Moskau. Aussentemperatur bei der Landung: 35 Grad im Schatten, in unserem Hotelzimmer im 13. Stock in einem Plattenbau aus den 70ern im Norden von Moskau gefuehlte 60 Grad - Celsius.
Auch Stadtbesichtigungen gestalten sich bei diesen Temperaturen auesserst anstrengend. Auf den Prunkstrassen rund um den Kreml gibt es kein Fleckchen erholsamen Schatten und die Sonne knallt erbarmungslos auf uns herunter. So versuchen wir auf kuerzestem Weg von Schatten zu Schatten zu gelangen. Im Kunsthistorischen Museum bleiben wir vor allem in den klimatisierten Rauemen besonders lange. Koptische Altarwaende aus dem 15. bis 17. Jahrhundert sind deshalb von besonderem Interesse fuer uns.
Am Nachmittag des 2. Tages wird es endlich kuehler - Wind zieht auf, der uns auf das erloesende Gewitter hoffen laesst. Am Abend sitzen wir noch auf dem Platz in der Mitte unseres Hotelkomplexes, trinken ein Bier und freuen uns ueber die ersten Anzeichen von Gaensehaut auf unseren Unterarmen. Ein junger Russe sitzt ebenfalls biertrinkend neben uns und spricht uns auf Russisch an - die perfekte Gelegenheit, um mein eingerostetes Russisch hervorzukramen. Wir unterhalten uns soweit wie moeglich ueber Alltagskram. Auf die Frage, was er denn arbeitet, meint er, dass er Autos in Moskau billig kauft, dann damit nach Kasachstan faehrt und sie dort teurer weiterverkauft. Als er mich fragt, wo im Hotel wir wohnen, schwindle ich doch lieber ein bisschen. Er wohnt im 20. Stock, meint er. Erst am naechsten Tag sollen wir im Lift bemerken, dass es gar keinen 20. Stock gibt.
Spaeter legen wir uns schlafen und hoffen auf eine kuehle Nacht, am besten mit Gewitter und viel Regen.